Atemlos

In dem Film Shadows In The Sun – Unter dem Himmel der Toskana stellt der Autor Weldon Parish dem Verlagsagenten Jeremy, dessen Wunsch es ist, ebenfalls Autor zu werden, eines Tages eine richtig schöne, alte Schreibmaschine neben sein Notebook. Dieser Dialog entspannt sich:

»Was ist das?«
»Wonach sieht’s aus?«
»Nein, ich meine, wofür ist die?«
»Für Sie. Schaffen Sie den Computer weg.«
»Wieso? Der Computer macht das leichter.«
»Schreiben soll aber nichts Leichtes sein. Es soll einem schwerfallen. Schreibmaschinen lassen einen sorfältiger über die Worte nachdenken, die man wählt, weil man sie nicht mit einem Knopfdruck löschen kann.«

Computer sind Zeichen sowie Fluch und Segen unserer Zeit. Sie unterstützen unsere Atemlosigkeit, vielleicht würden wir ohne sie ersticken, ich weiß nicht.

Ich habe die Gunst, noch ein Stück der Zeit davor zu kennen und dafür bin ich dankbar. Vor 35 Jahren legte ich mich manchmal zum Programmieren an den See und schrieb Programme mit der Hand auf Zettel, um sie dann später zu transkribieren, denn der Editor war sehr unkomfortabel (und der See schöner :-) ). Meine Mutter schrieb sämtliche Texte ihrer 43 Bücher von Hand.

Heute leben wir gehetzt und wenn man sich Zeit nimmt für sein Gegenüber, wird das deshalb selten wertgeschätzt, da es vor lauter innerer Hektik gar nicht bemerkt wird. Das fällt mir zum Beispiel auf bei dem Willkommenssthread in der Facebookgruppe Autoren-Knowhow, wo ich jeden Neuankömmling persönlich willkommen heiße. Gerne nehme ich mir kurz die Zeit, jeden etwas näher kennenzulernen, die/der zu uns stößt, denn das Persönliche scheint langsam auf die Liste der aussterbenden Arten zu geraten. Vielen ist es nicht einmal einen ›Gefällt-mir‹-Gruß wert und nur wenige bleiben stehen, blicken dir in die Augen und sagen ›Hallo!‹. Und an beiden Händen kann ich abzählen, wieviele von den – lustig, heute exakt – 1.444 Mitgliedern innegehalten haben und sagten: ›Oh, was für eine nette, seltene Begrüßung.‹

Diese Entwicklung finde ich deshalb traurig, weil dieser flüchtige, desinteressierte Umgang mit anderen Menschen nichts mit Leben zu tun hat. Es erinnert mich an die Nahrungsaufnahme von Walen: Sie lassen riesige Mengen an Wasser durch eine Siebvorrichtung laufen, bei der nahrhaftes Plankton und andere Kleinstlebewesen hängen bleiben. Wenn es um Informationen geht, finde ich diesen Vorgang sinnvoll. Nur wird leider keine Grenze gezogen zwischen Informationen und Menschen, sondern das Gegenüber wird ebenso unachtsam durchgefiltert. Zeit, den anderen (an)zusehen nimmt sich kaum jemand.

So, schön und gut, aber was soll das in einem Schreibblog?

Um eine Geschichte schreiben zu können, die das Herz des Lesers berührt, muss man Herzen an sich kennen. Andere. Über Herzen erfährt man aber nur etwas, wenn man sie kennenlernen … will. Wie aber macht man das, wenn man dermaßen achtlos in der Gegend herumrennt und nichts mitbekommt? Auf diese Weise lernt man nichts über die Herzen anderer kennen. Das Schlimme dabei ist aber, dass man, je weniger man von den anderen weiß, auch sich selbst kennt.

Jetzt wirst du vielleicht sagen: ›Ja, aber das ist doch nur in der virtuellen Welt so. Ich habe Frau/Mann, Kinder, Verwandte, Freunde!‹ Natürlich. Aber ich beobachte dieses Desinteresse am anderen auch in jeder Art von Beziehung. Kaum jemand nimmt sich wirklich Zeit dafür, innezuhalten, auszuatmen, sein Gegenüber anzublicken, es bewusst und interessiert wahrzunehmen und zu fragen: ›Wie meinst du das? Was fühlst du gerade? Welches Bedürfnis bewegt dich zu dieser Aussage oder Handlung?‹, ohne währenddessen schon Gegenargumente zu überlegen. Erwischt …?

Die Herzen anderer sind wie Kaktusblüten. Man muss sich die Muße nehmen, sie zu pflegen und warten, bis sie sich freiwillig öffnen. Mit diesem hektischen Drüberfahren kann das nicht funktionieren. Denn niemand öffnet sich einfach so jemandem, der die Tür aufreißt, kein Hallo übrig hat, einmal getresst quer durch den Raum rennt und ihn gleich wieder, die Tür hinter sich zuschlagend, verlässt.

Wir lernen uns nur kennen durch Resonanz, durch Wahrnehmung. Ohne die anderen geht es nicht. Speziell als Autor ist meines Erachtens ein feines Gespür für Nuancen notwendig, alleine schon, um die Worte zu finden, die unsere inneren Bilder beschreiben, damit Leser sie nachvollziehen können. Leider können wir dieses Gespür nicht lernen als Filtrierer, die gnadenlos ihre Umgebung durchpflügen um auf die Schnelle so viele Informationen wie möglich abzusahnen.

Liebe Mitautoren, ich glaube, Achtsamkeit ist nicht nur eine Übung, die uns menschlicher und liebenswerter macht, sondern die es uns auch besser ermöglicht, Geschichten zu schreiben, die die Herzen anderer berühren.

Nehmen wir uns doch immer wieder ein wenig Zeit, den, mit dem wir gerade zu tun haben, ganz bewusst anzusehen, egal, ob wir ihn mögen oder nicht, einfach, wenn es uns einfällt. Wer weiß, vielleicht schenkt sie uns dann als Dankeschön eine neue Geschichte.

Bildquelle: pixabay

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