Klagen ist nach dem Schlafen meiner Beobachtung nach der ganz große Teil der Zeit, mit dem die meisten ihr Leben verbringen. Missstände hier, Unverschämtheiten dort, Zumutungen da. Man braucht nur mal eine Zeitung aufzuschlagen. Warum ist Klagen so beliebt und warum gleichzeitig das Destruktivste, was man sich antun kann?Schnell die Antwort: beliebt, weil man sich im Rudel Gleichgesinnter wohlfühlen darf. Rudel geben Geborgenheit und die wünschen wir uns alle. Man kann das prima vergleichen mit einer Menge Leute, die dicht beisammen stehen. Wenn da ein Sturm drüberpfeift, dann flattern vielleicht mal ein paar Härchen, aber das war’s auch schon. Sollte man aber auf einen Ziegel steigen, dass man um Kopfeshöhe die Decke der Allgemeinheit überragt, dann pfeift einem die Luft schon ganz ordentlich um die Ohren. Und damit sind wir auch schon beim anderen Aspekt: Unten pfeift kein Wind und bringt die Frisur nicht in Unordnung. Allerdings ist die Aussicht in die Nacken- und Nasenhaare der Nachbarn auch nicht gerade ein herausragendes Erlebnis. Aber das nimmt man ja gern in Kauf. Wegen der Frisur. Die Option Wind zeigt uns eine wunderschöne Landschaft mit Sonnenauf- und Untergängen, Palmenoasen in der Ferne hinter den Dünen, und wir spüren, wie auf einmal das Blut prickelnd durch die Adern pulsiert.
Wenn jemand wissen möchte, wer zu welcher Fraktion gehört, braucht nur einmal zu beobachten, wer auf Facebook was liket. Du wirst sehen, dass sich bei Negativem sofort eine riesen Gefolgschaft zusammenrottet. Kaum jemand hat aber den Mut, sich öffentlich zum Gegenteil zu bekennen, auch wenn es noch so logisch und hilfreich sein mag. Genau dieser Effekt übrigens war auch damals beim überraschenden Wahlsieg Trumps zu erkennen. In den Umfragen traute sich keiner seiner Sehnsucht nach einem Kontra zum Establishment Ausdruck zu verleihen, sondern enthielt sich der Stimme. Und dann – siehe da … Die süße Macht der Herde. Dass diese Geborgenheit trügerisch ist – denn man ist mit und in ihr abhängig vom Umfeld – erkennt man in leidvoller Erfahrung bei Beziehungsproblemen, Job- oder Gesundheitsverlust. Dann ist es aber oft zu spät zum Umdenken.
Aus gegebenem Anlass möchte ich gerne von zwei Erlebnissen erzählen, was geschieht, wenn man den Schritt auf den Ziegel wagt.
Mein vorletztes großes Erlebnis war, als ich durch den Kauf des Schreibprogrammes Papyrus auf einen neuen Abenteuerpfad geriet. Natürlich ohne es vorher zu wissen. Ich begann mit dem Programm zu arbeiten, fand eine Menge Unzulänglichkeiten und wandte mich mit bestem Willen zu helfen an den Entwickler. Mit offenen Armen wurde ich in die Testerriege aufgenommen – ich bin über dreißig Jahre in der Softwarebranche tätig. Umgesetzt wurde von meinen meist einfachen Vorschlägen absolut nichts. Das war zwar ein wenig frustrierend, aber was soll man machen. Schließlich wurde dort eine größere Neuerung angekündigt, die in der geplanten – und letztlich auch umgesetzten – Weise ziemlich unbrauchbar war, aber in veränderter Art durchaus nützlich gewesen wäre. Die Reaktion war, dass man mich kurzerhand mit einem Tritt aus der Testerriege beförderte und mir auch sonst die Tür vor der Nase zuschlug. Das wäre nun eine hervorragende Möglichkeit zum Lamentieren gewesen. Schweinerei, Undankbarkeit, Ungerechtigkeit und was sonst noch so alles an Begriffen zur Verfügung steht. Zugegeben, den Kopf geschüttelt habe ich schon, aber es regte sich etwas ganz anderes in mir. Eine vorwitzige Aufsässigkeit. Langer Rede kurzer Sinn: es war der Anstoß dafür, dass ich das Autorenprogramm Patchwork entwickelt habe, mit dem mittlerweile weit über 1.000 Autoren arbeiten und das mit Fug und Recht von sich behaupten kann , das intuitivste und cleverste Programm für Belletrstikautoren zu sein. Für mich hat dieser Schritt unglaublich viel Positives bewirkt. Mal abgesehen vom Finanziellen habe ich neue Freundschaften geschlossen, viel gelernt und reihenweise herzerwärmende Erlebnisse.
Eben widerfährt mir Ähnliches und ich bin neugierig, worauf es hinausläuft.
Diesmal ist der Stein des Anstoßes kein Programm mit einem verbohrten Entwickler, sondern die Ignoranz – oder Unfähigkeit? – von größeren Verlagen, Autoren wie Menschen zu behandeln – außer man hat es irgendwie zu Geldkuh geschafft. Jeder Autor, der etwas länger im Geschehen ist, weiß, dass es als Unbekannter praktisch unmöglich ist, bei einem größeren Verlag unterzukommen. Er weiß genauso, dass es kaum gelingt, eBooks an Frauen und Männer zu bringen, wenn man sich abseits des Mainstreams bewegt. Ist das nicht ein wundrbarer Boden für ergiebiges Klagen? Ist es. Absolut. Aber Verlage sind, wie sie sind, genauso, wie besagter Softwarehersteller von oben ist, wie er ist. Ärgern nützt nichts. Aufsässigwerden durchaus. Denn Aufsässigkeit ist mit ihrer Energie die Mutter der Kreativität. Nicht umsonst ist sie eine Sie wie die Emanzipation. Allerdings kommt es darauf an, in welche Richtung man sie kanalisiert. Mir gehen Verlage genauso auf den Zeiger, wie besagter Softwarehersteller, nur werde ich beide schwer ändern können. Was ich aber ändern kann, ist meine eigene Kreativität auf den Plan zu rufen. Und das habe ich getan.
Das Ergebnis ist – diesmal aber nach jahrelangem Überlegen – ein neuartiges Konzept, wie auch Self-Publisher in den Buchhandel kommen können, allerdings außen an der restriktiven Überheblichkeit und/oder schlechten Organisation der großen Verlage vorbei. Als ich nun damit an die Öffentlichkeit ging, geschah genau das Erwartete: Klagen, was nach dem Schlafen der ganz große Teil der Zeit ist, mit dem die meisten ihr Leben verbringen. Über den Tisch ziehen, Gaunerei, Schwachsinn, Quatsch. Aber, und das ist doch erfreulich, gibt es hie und da Leute, die bereit sind, auf ihren Ziegel zu steigen und so ihr Schiffchen sich mit Hilfe des roten Ballons ihres Muts zur eigenen Meinung in die Lüfte erheben zu lassen.
Und die Moral von der Geschichte? Misstände und dumme Menschen sind hilfreich. Sie polarisieren und ermuntern unsere Kreativität dazu, mit dem Fuß aufzustampfen und ihren Kopf zu erheben. Und das Schöne daran:
Du entscheidest dich selbst für einen Flug unterm Ballon über das Wasser oder die Nasenhaare deines Nachbars.