Schicksal, Berufung, Vision und Mut

Im Rahmen der Recherche zu meinem aktuellen Roman bin ich heute auf etwas gestoßen, das auf den ersten Blick kurios anmutet. Und auf den zweiten unglaublich berührt. In unserer Gesellschaft sind wir es so gewöhnt, zu reden und zu reden und zu klagen darüber, nichts zu erreichen, dass es mir ein Anliegen ist, diese Geschichte mit euch zu teilen. Ich denke, wir sollten uns alle ein wenig an der Nase nehmen, in uns gehen und nach dem Funken des Geistes suchen, der in den zwei Protagonistinnen der folgenden kleinen Geschichte wohnt.

Nach stundenlanger Fahrt durch die Mojave-Wüste in Nevada (oben) taucht ein Weiler auf – Death Valley Junction, von dem aus man Richtung Norden ins Death Valley abzeweigt (Mitte). Verblüffend das langgestreckte weiße Gebäude, aber gut, vielleicht irgendeine Industire? Doch hier, mitten im Nichts?

Es kommt ganz anders.

Die 1924 in New York geborene erfolgreiche Schauspielerin, Choreografin, Musikerin und Malerin Marta Becket war 43, als sie mit ihrem Mann im Auto nach Los Angeles durch die Mojave fuhr. In einem winzigen Kaff hatte sie eine Reifenpanne. Während der Platten repariert wurde, sah sie sich bei den paar Hütten um und entdeckte die Civic Hall, das Versammlungshaus. Durch die Wände pfiff der Wind, Kängururatten hoppelten über den krummen, verworfenen Boden, die Wände waren verdreckt. Sinnend schlenderte sie durch den desolaten Raum mit dem löchrigen Dach. Auf einmal blieb sie stehen und traf aus heiterem Himmel eine Entscheidung: Hier würde sie ihr eigenes Thetar machen!

Schon immer wollte sie das und ihre eigene Show. Kurzerhand übersiedelten sie und ihr Mann hierher und zauberten eine kulturelle Institution in diese menschenfeindliche Gegend. Martas Projekt wurde eine Attraktion für Touristen, Farmer und die Prostituierten des lokalen Bordells. »Ich fand mein Schiff hier daußen in der Wüste, als ich 43 war«, meinte Marta anlässlich der Dreharbeiten zum Film Amargosa im Jahr 2002. Sie malte (nicht nur) den kompletten Innenraum selbst aus. Sie wollte Zuschauer für ihre Vorstellungen, denn am Anfang spielte sie oft vor kleinem oder gar keinem Publikum.

Als Jenna McClintock 1982 sechs Jahre alt war, campte sie mit ihren Eltern in Death Valley Junction. Sie besuchten die Oper und Jenna war so begeistert von Marta, dass sie beschloss, Tänzerin zu werden. Jahre später, nachdem sie eine Ballettausbildung absolviert hatte, kam sie wieder und trägt nun das Erbe von Marta Becket, die 2017 mit 93 Jahren starb, fort, auch wenn auf eine etwas veränderte Weise.

Für mich ist es eine mystische Doppelgeschichte, die zeigt, dass alles möglich ist, wenn man seine innere Stimme hört und ihr folgt. Ob man jahrelang vor praktisch keinem Publikum Balett aufführt oder jahrelang für praktisch kein Publikum Bücher schreibt, ist dabei gleichgültig. Es zählt nur, dass man auf das tief drinnen hört und ihm vertrauensvoll folgt. Dann wird alles gut.

Und hier noch ein paar Links:

 

 

Ein paar Kommentare zu “Schicksal, Berufung, Vision und Mut

  1. dornpunzel

    ”s is alles gut für Ebbes’, hat meine Oma immer gesagt. Genau so sehe ich das auch und bin damit völlig bei dir, Martin.

    Ich weiß nicht, ob es Schicksal, Vorhersehung, irgendein höheres Wesen ist, keine Ahnung, aber ich bin überzeugt, dass es etwas gibt, das uns leitet. Was nicht heißt, dass unser Leben vorgegeben ist und in unabänderlichen Bahnen verläuft. Wir Menschen haben immer die Möglichkeit unsere eigenen Entscheidungen zu treffen und das müssen wir auch tun. Nur sollten wir vielleicht öfter auf unser Gefühl hören, denn logische Gründe waren es sicher nicht, die Martha Becket dazu gebracht haben, ihr Theater im Niemansland zu eröffnen. Sie hätte auch wieder gehen und ihrem Traum den Rücken kehren können. Wir bekommen Chancen, Möglichkeiten, müssen aber selbst den Mut aufbringen, sie zu ergreifen.
    Im Grunde tun wir das doch auch alle, oder habe ich was verpasst und bin die Einzige hier, die noch keinen Bestseller geschrieben hat? Wir bringen doch den Mut auf, gegen alle (wirtschaftliche) Logik die Geschichten zu schreiben, die durch unseren Kopf schwirren und zumindest ich mache das in dem festen Glauben, dass daraus etwas Gutes entsteht. In welcher Form auch immer, wann auch immer.

    1. martinmartin Autor des Beitrags

      Für mich ist das Leben so eine Art Adventure-Spiel. Den groben Verlauf bekommen wir vor den Latz geknallt, das beginnt schon bei der Geburt mit Ort, Milieu, Möglichkeiten, Begabungen. Die Prägungen am Anfang setzen einen relativ engen Kanal, in dem wir uns fortan bewegen. Was uns begegnet, können wir nicht ändern, aber den Umgang damit und damit wiederum unseren zukünftigen Kanal.
      Für mich ist Martas Reifenpanne eine der Stellen in einem Adventure, bei denen es darauf ankommt, mit Aufmerksamkeit und Offenheit Überraschendem und Unbekanntem zu begegnen, zu spüren, worum es geht und für einen selbst passende Entscheidungen zu treffen.
      Ich hoffe, dass diese Geschichte auch für viele andere zu einer werden kann, die sie in ihrem Sosein bestärkt und ihnen den Mut gibt, zu sich zu stehen.

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