Rück- und Vorblenden

Geliebt, gehasst, schief angesehen – Rückblenden sind immer wieder Diskussionsthema. Was nun jetzt? Ja? Nein? Sehen wir uns die Gründe an, warum Rückblenden notwendig scheinen.Sie sind gerne in Prologe verpackt und entstehen oft aus dem Wunsch des Autors, zu erklären, wie es zu … kam.

Längere Rückblenden

Egal, wie man zu ihr stehen mag, der Rückblende, eines lässt sich nicht wegdiskutieren: Sie bedeutet einen Bruch in der Geschichte, der Leser muss neu einwurzeln. Erfahrenen Autoren sind sie meist Indiz, einen nicht so erfahrenen Autor vor sich zu haben. Warum? Ein Argument für die Rückblende ist meistens, dem Leser zeigen zu wollen/müssen, wie es zu dem Punkt kam, wo der Roman beginnt – Rückblende im Prolog – oder zum besseren Verständnis der aktuellen Situation beizutragen. Bei all diesen Gedanken zur Nachvollziehbarkeit sollten wir uns vor Augen halten:

  1. Ein Roman ist kein Polizeibericht.
  2. Romane beschreiben Zeitfenster und sind keine lückenlose Aufzählung.
  3. Bei einem Roman muss – nein: soll – nicht immer alles klar und deutlich vor den Auge des Lesers ausgebreitet sein. Wir wollen doch Spannung erzeugen, den lieben Leser schmoren lassen. Dazu passt eine tolle Erkärung gar nicht.
  4. Jede Rückblende ist ein Bruch in der Geschichte, der Leser muss neu einwurzeln – schlecht. Warum, haben wir ihn mal an der Angel, ihn dann von Haken lassen?
  5. Wir sollten für den Leser schreiben und daran immer denken. Dass wir wissen, wie es dazu kam, ist klar. Wenn wir das dem Leser vorenthalten, haben wir viel bessere Möglichkeiten, mit ihm zu spielen. Hand aufs Herz: Der Drang nach Rückblenden entspringt fast immer unserem braven Bedürfnis, korrekt zu sein. Nicht umsonst sind wir ja linientreue Mitteleuropäer. Darum geht es aber bei Romanen nur bedingt. Spannung, eine gute Geschichte sind viel wichtiger.
  6. Rückblenden kommen in Generationsromanen ständig vor. Ich persönlih mag solche nicht, selbst von Profis wie Jojo Moyes geschrieben.
  7. Rückblenden kann man meist leicht vermeiden, indem man die ihre Informationen in Dialogen unterbringt. Das gilt sogar für Fantasy, wo ganze Welten beschrieben werden müssen.

Man kann aber Blenden ganz bewusst nutzen. In Airport Madrid (wird im November erscheinen) habe ich eine Vorblende eingebaut. Die Geschichte ist wie die Ziffer 6. Der Start am einzigen Schnittpunkt der Linie der 6 beschreibt als Zehnseiteneinstieg die Protagonistin auf dem Madrider Flughafen, Eine Schlüsselsituation und auch noch Namensgeber des Romans. Dann springt die Geschichte ein Jahr zurück, beginnt also von dem Schnittpunkt weg nach rechts in der Schleife, dem O, ein Jahr vorher, wo die sie wirkich beginnt und arbeitet sich durch die Schleife vorwärts zu dem Schnittpunkt, nimmt den Anfang wieder auf, um dann nach rechts oben die 6 zu komplettieren, indem wr erfahren, wie es ab dem Flughafen weitergeht.

Warum habe ich nicht gleich am Anfang begonnen? Erstens ist die Flughafenszene gut für einen Einstieg geeignet. Dynamisch und dramatisch sind wir im Geschehen. Zweitens weiß in diesem Fall der Leser sofort, was es mit dem Titel auf ich hat (was aber auch nicht ein muss. In Nur sieben Worte erfährt man die sieben Worte ert ganz am Ende – ca. aufSeite 620 (von 640)). Du siehst, alles kann was haben. Nur immer mit Plan und Ziel. So ist in wenigen Absätzen klar, dass sich die Protagonistin in einem Jahr sehr verändert hat, ihre Fähigkeiten und Schwächen und man hat ein Bild von ihr. Um letztes noch u pushen, heißt sie Scarlett Johnson und sieht der Schauspielerin sogar recht ähnlich.

Solche Kunstgriffe sind immer erlaubt, nur – man sollte gaz genau wissen was und wrum man es tut.

 

Mikrorückblenden

Eine andere Sache sind die, wie ich sie nenne, . Ein Beispiel, was ich damit meine:

Mikrorückblende: Es ist drei Wochen her, dass mich Timo in ein originelles Lokal zum Mittagessen eingeladen hat. Das Haus des kleinen Wunders, keine Viertelstunde von meinem Büro entfernt. Es passt zu ihm. Bunt, mit viel Holz, Pflanzen und einer netten Wendeltreppe. Zuerst dachte ich an kleine, besonders leckere Portionen, als ich den Namen mitbekam, ›kleine Wunder‹. Ich kenne ein solches Lokal aus einem lang zurückliegenden Besuch in Wien. Ich glaube, das hieß Lustig Essen. Um satt zu werden brauchte man etwa vier Portionen. Das war wirklich lustig. Dieses Lokal hier hat seinen Namen aus einem völlig anderen Grund. Das Leben besteht nicht aus großen Wundern, sondern es wären die kleinen Wunder, die es liebenswürdig und liebenswert machten. Wenn er gewusst hätte …

Aktuelle Szene: Eben kommen wir vom Kino. Timo hat ein Händchen für das Besondere…

Diese Methode verwende ich gerne, wenn ich Zeitabschnitt von der letzten zur aktuellen Szene erwähnen möchte. Auf diese Weise kann ich mir Unwichtiges sparen, und lediglich eine kleine Information via Szenenbeginn transportieren – In diesem Fall, dass Scarlett und Timo etwas vertraut geworden sind –  zu klein und unwichtig für eine eigene Szene. Mikrorückblenden sind nicht mit den großen vergleichbar, weil sie nur einen Teil des Zeitraums zwischen der letzten und aktuellen Szene locker zusammenfassen.

 

Zusammenfassung:

  1. Rückblenden sind beinahe nie nötig, man läuft im Gegenteil vielmehr Gefahr, als Novize enttarnt zu werden, der (noch) nicht weiß, was er tut. Man darf aber alles, wenn es einen Effekt erzielen soll. Und auch hier vorbeugend: Immer wieder kommen Entgegungen/Rechtfertigungen wie ‘Aber der und der (immer bekannte Autoren) macht es auch so’. Schlechtes Argument. Denn bekannt als Autor zu sein, bedeutet nicht zwangsweise, gut zu schreiben, sondern lediglich den Nerv des Volks zu treffen. Warum also nicht gut schreiben und den Nerv treffen …? Vielleicht sogar deshalb? Die nur den Nerv des Volks treffen geraten schnell in Vergessenheit.
  2. Wenn, dann würde ich eher nach obigem Muster eine spannende Stelle aus dem Roman nehmen, die sich als packender Einstieg eignet, siehe Airport Madrid. Große Voraussetzung: Ein wasserdichter Plot!
  3. Vor rund 50 Jahren gab es in der Schweiz am Staßenrand Tafeln, die einen Überholvorgang zeigten mit dem Untertitel ›Im Zweifel nie!‹ Gutes Motto auch für Rückblenden.

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