Es fällt mir auf, dass jedesmal, wenn ich schreibe, dass man von dem oder dem Abstand nehmen soll, weil es dem Autor-Leser-Verhältnis abträglich ist – seien es nun kursive Gedanken, unpassende Inquits oder Perspektivsprünge innerhalb einer Szene – unweigerlich irgend jemand über kurz oder lang kommentiert: ›die/der macht es aber auch so‹, mit Verweis auf einen erfolgreichen Autor. Kann man also alles machen und der Zufall regiert das (Bestseller-)Glück?
Zufälle sind das Unlogischste, das der Mensch je erfunden hat, zumindest in der landläufigen Bedeutung. Schon das Wort an sich weist uns auf den Denkfehler hin: es fällt uns etwas zu. Wo, bitte, ist da die ›Willkür‹ Im Spiel? Ist nicht vielmehr das Problem unsere eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit, die nur keine Zusammenhänge erkennen kann?
Genauso wenig zufällig werden Bücher erfolgreich oder dümpeln dahin. Wobei wir bisher über eine Komponente noch nicht gesprochen haben, weil die zur philosophischen und nicht zur schreibtechnischen Fraktion zählt. Der Vollständigkeit halber sei sie aber doch einmal erwähnt, denn genau genommen kann man diese Sicht bei gar nichts außen vor lassen. Jeder Mensch hat einen (selbst erstellten) Lebensplan, der grob enthält, was er in diesem Leben erleben und erledigen möchte. Manche Ereignisse aber, die wir uns wünschen (Bestseller etwa), können für diesen Lebensplan (momentan) kontraproduktiv sein. Das rührt unter anderem daher, dass für manches eine Reihenfolge nötig ist, wie man ja eine Leiter auch stufenweise hinaufsteigt. Oder vielleicht ist gerade die Nichterfüllung aktuell hilfreich, weil der eigentliche Nutzen für einem in etwas ganz anderem liegt. Das könnte beim Schreiben zum Beispiel die therapeutische Seite sein. Nicht umsonst sagt man ja, dass man sich etwas ›von der Seele schreibt‹.
Also: Zufälle gibt es nicht. Genausowenig bei Bestsellern. Da es sehr selten ist, dass ein Buch kein Bestseller wird, weil das der Lebensaufgabe (aktuell) im Weg stünde, liegt der Schluss nahe, dass es am Inhalt liegt. Gehen wir soweit konform?
Unter diesem Blickwinkel sind Aussagen, welche die oben angeführten und andere Hemmer rechtfertigen, kontraproduktiv. Sie erzeugen nur kräfteraubende Diskussionen und münden schließlich in einer gedanklichen Verabschiedung, nach der einer nach Osten, der andere nach Westen marschiert. Lernen werden wir durch diesen Prozess wenig. Außer jemand denkt, dass die Selbstbehauptung ein Lernerfolg wäre. Kann sein, aber auch nur dann, wenn man sich innerlich danach ehrlich wohler und befreiter fühlt.
Viel eher stammen diese Rechtfertigungen entweder aus Unkenntnis oder dem Bedürfnis … eben recht zu haben. Und damit eine Bestätigung zu erhalten, dass das, was man tut, doch okay und nicht daneben ist. Oder vielleicht auch aus dem Bedürfnis heraus, sich nichts vorschreiben zu lassen, sondern seine eigene Meinung haben zu wollen. Oder einfach nur etwas anderes beitragen zu wollen.
Die eigene Meinung und Beitragenwollen in Ehren, aber wir neigen zu einem fatalen Fehler, der praktisch alles im Leben verkompliziert.
Es gibt a) Gesetzmäßigkeiten, die jeden von uns gleichermaßen betreffen. Sei es Schwerkraft, Geburt und Tod, Ursache und Wirkung, Anziehung der Gleichart (Magnetismus), Gravitation, Resonanz und mehr. Das ist das eine. Dann gibt es z) die individuellen Auswirkungen dieser Gesetzmäßiggkeiten, die natürlich bei jedem völlig unterschiedlich ausfallen. Mangels Kenntnis von a) neigen viele von uns dazu, entweder nur z) zu sehen oder einen Teil von a) mit z) in einen Topf zu werfen und den mit dem Etikett ›Willkür‹ zu versehen. Das ist zwar verständlich, aber leider trotzdem kein konstruktiver Weg. Denn genau aus dieser Energie stammen die Rechtfertigungsversuche, deren daraus entstehende Diskussionen lediglich Zeit und Energie kosten.
Wenn ich beim Thema Schreiben zu dem Schluss komme, dass zum Beispiel das Autoren-Leser-Verhältnis an erster Stelle stehen sollte, dass Leser mit dem Lesen Bedürfnisse befriedigen und, konkreter, oft nur entspannen und nicht verwirrt werden wollen (Rückblenden, zu schnelle Perspktivwechsel, zu viele Figuren), dann behaupte ich das nicht einfach, weil ich etwas behaupten möchte, sondern weil ich anhand dieser allgemeinen Gesetzmäßigkeiten bis zur Wurzel gelangt bin und von der aus dann die Antworten beleuchte. Darüber nun zu diskutieren ist genauso sinnvoll, wie darüber, wie man die Schwerkraft aufheben kann. Natürlich kann man die Schwerkraft aufheben, genauso, wie man auch Rückblenden, schnelle Perspktivwechsel und viele Figuren einsetzen kann. Aber, Hand aufs Herz, sowohl das Schriftstellerische betreffend, als auch das Ding mit der Schwerkraft – glaubt ihr nicht, dass das eher in die Meisterklasse des jeweiligen Bereichs gehört, wenn überhaupt? Oder dass nicht vielleicht die Negativ-Beispielbücher ansonsten noch erfolgreicher wären?
Was ich mir anstelle dieser fruchtlosen Diskussionen wünschen würde, wäre ein Hinterfragen der Behauptungen. ›Wie kommst du darauf?‹ oder ›warum glaubst du, dass das funktioniert?‹. Es ist mir klar, dass Hinterfragen nicht gerade modern ist – welcher Politiker spielt uns das schon vor bei seinem Kontrahentengesprächen? – aber genau dadurch ensteht eine ganz andere und vor allem wohltuende Atmosphäre. Das Hinterfragen ist auch die Vorgehensweise in jeder Art von Beziehung. Denn damit lernen wir unser Gegenüber besser kennen und zollen ihm gleichzeitg Wertschätzung. In der Familie, am Arbeitsplatz, überall. Und, sozusagen als Abfallprodukt, ist es ein Weg zu einer eigenen Meinung und Schärfung der Wahrnehmungsfähigkeit.
In diesem Sinne wünsche ich jedem von uns das zunehmende Bestreben, auch bei scheinbar Alltäglichkem auf die Gesetzmäßigkeiten zu schielen, die hinter allem wirken und weben. Ich verspreche jedem: Das Leben gewinnt dadurch unglaublich an Leichtigkeit und Freude.
Es lohnt sich!