Kommunikation ist kriegerisch

Wir leben in einer Gesellschaft des Krieges. Im Großen bieten den Schauplatz Nationen, im Kleinsten Beziehungen zwischen zwei Menschen. Wir sind es von klein auf gewohnt, uns behaupten zu müssen. Sich behaupten bedeutet, recht zu bekommen.

Die Interaktionsdynamik betreffend bedeutet das, dass wir ständig auf der Hut sind. Auf der Hut davor, angegriffen zu werden, über den Tisch gezogen zu werden, übervorteilt zu werden, ausgebootet zu werden, verletzt zu werden. Diese Energie kann man problemlos rundherum beobachten. Angst ist das daraus entstehende emotionale Problem Nummer eins. Und es wird genützt: Versicherungen, Virenschutzprogramme, Pharmakonzerne … sie alle verdienen Milloiarden mit der Angst.

Da in einem System immer alle Komponenten ineinandergreifen, ist natürlich auch unsere Gesprächskultur, die ja ein Teil des Systems ›Mensch‹ ist, entsprechend: Jeder ist auf der Hut,

  • angegriffen zu werden,
  • über den Tisch gezogen zu werden,
  • übervorteilt zu werden,
  • ausgebootet zu werden,
  • verletzt zu werden.

Deshalb wird ganz logisch bei allem, was rundherum geschieht, und man es nicht gleich definitiv einordnen kann, zuerst einmal etwas Negatives erwartet, also ein Angriff. Das ist eine völlig nachvollziehbare Reaktion, weil wir uns ja tagtäglich darin üben. Zu Hause, im Job, unter Bekannten, in den Medien.
Therapeuten wissen von dieser Mechanik und es gibt spezielle Paartherapiemethoden (Imagotherapie), bei denen einer nur zuhört und der andere unterbrechungsfrei reden kann, und man dann tauscht.

Warum schreibe ich darüber jetzt?

Ich beobachte diesen Mechanismus auch in der Gruppe Autoren-Kowhow ständig. Und zwar immer dann, wenn es um nicht leicht erkennbare Themen geht. Leicht erkennbar ist ›wie schreibt man …‹, ›wie findet ihr das Cover …‹, ›Umfrage, wieviel man pro Jahr liest‹ und so weiter. Dabei klappt es ganz gut, glatte Fragen ohne Kanten und Haken. Schwierig wird es bei Themen, die nicht so einfach eingrenzbar sind und dadurch leicht missverstanden werden können. Das ins etwa das vorliegende und all die, durch die man getriggert (betroffen gemacht) werden kann und die sich mit etwas beschäftigen, zu dem man eventuell keine Ansicht gebildet hat. Oder das man in der Art noch nicht kennt. Je weniger bekannt ein Thema ist, desto extremer wird automatisch auf Kampfmodus geschaltet: Zuerst mal zurückschlagen und dann schauen, ob es nicht vielleicht doch ungefährlich war. Dabei kann natürlich passieren, dass es schon tot ist, bevor man die Antwort bekommen hat. Also das Gespräch, meine ich :-)

Diese Kommunikationspraxis ist uns schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir völlig automatisch nur noch entsprechend handeln. Leider schleppt aber diese Vorgehensweise gleich eine ganze Horde an Pferdefüßen hinter sich her.

  • Wir werden zwar vielleicht gewinnen, aber letztlich verlieren wir meistens – und wenn es auch ›nur‹ die Beziehung zum andern ist.
  • Wir isolieren uns.
  • Wir erfahren nie etwas anderes (so kann auch nie bei einem selbst Veränderung stattfinden, die man aber manchmal ersehnt).
  • Wir erfahren nichts vom Gegenüber.
  • Wir können so maximal über genau definierte Dinge diskutieren mit genau definierter und beiderseits gleich interpretierter Terminologie.
  • Wir belasten unsere physische und unsere psychische Gesundheit.

Summa summarum ist diese Art des Austauschs eine sehr fragile Angelegenheit, bei der Scheitern mehr oder weniger vorprogrammiert ist. Abgesehen davon, dass sie kräftezehrend ist, kann sie nur für einen sehr geringen Teil an Kommunikationen angewendet werden. Sobald es in gefühlsbezogene Themen oder gar in spirituelle geht, versagt sie.

Ist also Kommunikation von Haus aus zum Scheitern verurteilt?

Nein, nur diese leider übliche Praktik. Die gute Nachricht: Es gibt eine ganz problemlose Alternative. Die muss man allerdings ebenfalls üben, bevor sie einem wieder genauso in Fleisch und Blut übergegangen ist. Und das dauert und braucht ständiges Sich-daran-Erinnern.

Wie erwähnt, funktioniert die Simpel-Konversation nur bei sehr gut bekannten Themen einigermaßen und sie setzt voraus, dass die verwendeten Begriffe bei allen Gesprächspartnern die gleichen Bilder erzeugen. Aber wer hat schon die gleichen Bilder zu einem Begriff (und dabei sind noch nicht einmal unterschiedliche Kulturen einbezogen)? Aus dem Grund ist sogar die Unterhaltung auf simpelstem Level manchmal schwierig.

Dieser in der Natur des menschlichen Unterschieds liegende Tatsache kann man ganz einfach begegnen.

  1. Den Mechanismus beobachten, ob man sich angegriffen fühlt. Wenn ja, bewusst umschalten auf 2.
  2. Wenn keine Zustimmung und kein Verstehen möglich sind und Punkt 1 aktiv ist, dann braucht man lediglich nachzufragen, um genauere Informationen zu bekommen.

Diese auf einer völlig anderen Basis stehende Unterhaltung bewirkt ebenfalls eine Menge, aber nur Positives:

  • Gespräche werden bedeutend entspannter.
  • Es tauchen weniger Missverständnisse auf.
  • Keiner der Partner fühlt sich übervorteilt oder angegriffen.
  • Es kommt viel weniger zu Missstimmungen.
  • Die Gefahr für ein Burnout wird verringert.
  • Die Gesundheit wird allgemein weniger belastet.
  • Man verbleibt in einer wertschätzenden Atmosphäre.

Es sieht doch so aus, als ob es sich lohnen würde, umzudenken, oder?

Was spricht dagegen, Unterhaltungen und Diskussionen zukünftig unter diesem anderen Blickwinkel zu führen?

Ein paar Kommentare zu “Kommunikation ist kriegerisch

  1. sveit

    Hallo Martin,

    du sprichst mir aus dem Herzen!

    Ich erlebe das immer wieder, zum Beispiel im Beruf. Ich lese Korrektur für eine Zeitung. Die Redakteure fühlen sich oft persönlich angegriffen. Mein Blick ist dabei allerdings nicht gegen den Redakteur gerichtet, sondern in Richtung Text, in Richtung Produkt, in Richtung der Leser, die sich am nächsten Tag über Fehler aufregen. Da sollten wir doch eigentlich beide in die gleiche Richtung blicken und sachlich bleiben! Und dankbar sein, dass man mithilft. Das ist manchmal sehr zermürbend.

    Und auch umgekehrt. Ich bin ja auch nicht fehlerfrei. Ich mache Fehler, ich übersehe Fehler. Ich korrigiere pro Tag im Schnitt 500 Fehler, ab und an übersehe ich auch was. Sorry, musste ich schon mal jemandem sagen, ich bin nicht der Papst, ich bin nicht unfehlbar!

    Auch in Foren, in denen über Texte diskutiert wird, geht es doch – zumindest theoretisch – nur um die Texte, und nicht um persönliche Wertschätzung. Im Gegenteil. Ich empfinde es als Wertschätzung, wenn ein Text gelesen wird und jemand den Mut aufbringt, mir zu sagen, was er denkt. Wie sollte ich es denn sonst jemals herausfinden? Auch wenn die Wahrheit zugegebenermaßen manchmal schmerzhaft ist. :-( Dann muss man eben zweimal schlucken und überlegen, wie es besser geht.

    Ich stelle mir oft vor, wenn ich schreibe, ohne es lesen zu lassen, ist das wie Schminken ohne Spiegel: Man kann tagelang daran arbeiten, aber man hat keine Ahnung, was dabei herausgekommen ist. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass die Texte gelesen werden und, dass mir jemand sagt, was er darüber denkt. Dadurch werden die Texte immer besser. Das ist es doch, was wir alle wollen!

    Mein Wunsch an die Welt wäre:
    Etwas weniger Ego, etwas weniger Rechthaberei, etwas mehr Respekt und etwas mehr Sachlichkeit und Blick auf die Fakten.
    Und viel mehr Freude und Spaß am Lesen und am Schreiben. :-)

    LG Sabine

    1. martinmartin Autor des Beitrags

      Hallo Sabine,

      sorry, habs erst jetzt gesehen, werde leider davon nicht benachrichtigt.

      »… ist das Schminken ohne Spiegel: Man kann tagelang daran arbeiten, aber man hat keine Ahnung, was dabei herausgekommen ist.« Das ist ein wunderbarer Vergleich!
      Es sind halt unbewusste Abwehrprogramme, die in uns anlaufen, sogar schon dann, wenn jemand anderes anderer Meinung ist. Denn das bedeutet für Viele: ›Meine Meinung (und damit meine Werte) sind schlecht.‹ Und schon geht’s los.
      Und ja, viel mehr Freude … an allem!

      Liebe Grüße
      Martin

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