Wie machen Bestsellerautoren ihre Bücher? Ein kurzer Austausch mit der Autorin Sylvia Lott.
Wenn ich lese, beziehungsweise höre, wünsche ich mir jedesmal aufs Neue, in eine unbekannte Welt mitgenommen zu werden. Dort sollen mir aber nicht nur neue Menschen begegnen, sondern ich wünsche mir auch, Neues an sich und über diese Welt zu erfahren. Gefühle wie Liebe und Enttäuschung begegnen einem ja auf Schritt und Tritt. Aber die Tiefe, die Bücher eben oft zu Bestsellern werden lassen, findet man selten. Vor allem leider unter zeitgenösischen deutschschreibenden Autoren.
Nun bin ich wieder einmal auf so ein, nein, gleich mehrere Kleinode gestoßen und, o Freude: keine Französin, Spanierin, Amerikanerin oder Engländerin, nein eine Hamburgerin – Syliva Lott.
Der Unterschied, so einem Buch zuzuhören gegenüber einem der unzähligen üblichen, ist so wie ein Haubenkochgericht versus Fischmac. Die Geschichten zergehen auf der Zunge, nein im Gemüt, originelle, noch nie so gehörte Metaphern und Figuren, die in einer inneren Fülle präsent sind, dass man meint, ihnen gegenüber zu sitzen. Und sogar noch eine Draufgabe: eintauchen in das Inselleben von Borkum heute samt etwas Geschichtlichem. Und Brauchtum bis zurück zu den walfangenden Vorfahren oder Nichtgekanntes aus Florida. Schlicht – man kann sich so richtig im Zuhören räkeln.
Nach dem Beginn ist mir bald klar geworden, dass es keine Geschichten sind, die einfach so aus dem Bauch geflossen sind. Teile sicher, aber schalenweise entblättert sich ein genaues Konzept. Es macht Freude, den berühmten Erzählstrangfäden zu folgen und sie dann – hier (Die Inselfrauen) sogar an einem Ort – beim Ineinanderfließen zu beobachten.
Spontan habe ich der Bestellerautorin Sylvia Lott eine Mail geschrieben, und sie um ein paar Worte gebeten, wie für sie das Schreiben so abläuft. In der Antwort habe ich die Bestätigung dessen gefunden, was aus dem Buch atmet, unverkennbar, so man nur einen einigermaßen intakten Geruchssinn für Fülle hat.
Zwar hatte ich mir vorgenommen, um Frau Lotts Zeilen herum etwas mehr zu beschreiben, gespickt mit Zitateinsprengseln, aber ich denke, die Originalzeilen in kompakter Komplettheit sind besser.
Die Quintessenz meiner Frage lautete:
»Worauf kommt es nach Ihrer Erfahrung an, um eine gute Geschichte zu schreiben?«
Und hier die Antwort:
»Ja, ich recherchiere sehr gründlich. Mache mir Notizen, verreise, gehe in Archive, recherchiere vor Ort, spreche, wenn es geht, mit Zeitzeugen/Experten, lese viel. Die Exzerpte kommen auf einen Stapel, Irgendwann ordnet sich alles zu einer Struktur, in Kapitel und Plastikhüllen. Wie bei einem Fachwerkhaus muss erst das Gerüst stehen. Wie die Zimmer aussehen werden, das entwickelt sich später. Fakten möglichst originell und konkret darstellen (pars pro toto). Große historische Ereignisse an Kleinigkeiten im Alltag deulich machen. Nicht: Was steht in Geschichtsbüchern? Sondern: Wie hätte ich es erlebt?
Wichtig ist die Balance zwischen Vorwissen (man muss sich in der Welt der Helden so gut auskennen, dass man ganz selbstverständlich darin spazierengehen kann, man muss auch seine durch die Zeitläufte und persönlichen Erfahrungen geprägte Persönlichkeit verinnerlicht haben) und Offenheit, Intuition, der Bereitschaft, es sich ergeben, es laufen zu lassen. Die Gefühle können nur echt sein, wenn sie mich beim Schreiben einmal durchlaufen haben. Wie fühlte es sich an? Ich frage alle Sinne ab, beschreibe (nur) die prägnantesten Reaktionen.
Anderer Weg kommt auch vor: Manchmal, wenn ich eine starke Empfindung habe, mache ich mir Notizen und schaue später, ob ich sie irgendwo verwerten kann.
Zusammengefasst: Es ist überwiegend Handwerk, mit viel Liebe zum Detail. Und dann gibt’s da noch einen Rest, von dem ich nicht viel weiß (woher er kommt, wie man ihn bestellt), außer, dass er mich glücklich macht, wenn er dazukommt.«
Sylvia Lott, 2.3.2020
Das klingt in meinen Ohren alles andere als einfach Schreiben aus einem genialen Kanal heraus. Es ist kein inneres Bild einer Sandburg mit hundert Türmchen und tausend Zinnen, bei deren Entstehen die Finger kaum mit dem Nacherzählen mitkommen, sondern es ist eine echte Burg aus Sand und Wasser, der Sonne mit der Gießkanne abgetrotzt, mit eingeschlafenem Fuß und Kniepen im Kreuz – schlicht Vertiefung, Einlassen, Neugier, ja, auch Arbeit trotz der Freude, es ist Konstruieren, Modellieren, Umherschieben, Überlegen. Es bedeutet, drin zu sein in der Geschichte, nicht nur in Gedanken, sondern auch durch Fakten gefestigt. Es bedeutet Sammeln, dann Abstrahieren und Weglassen, Eintauchen, Atemlosigkeit und – zwischendurch – diese zarte Prise Einfall, Zufall, innere Bilder, Flow oder wie auch immer man es nennen mag; sozusagen die Belohnung für die Ernsthaftigkeit, Begeisterung, Engagement oder mit welcher Energie man es eben angeht.
Hat dieser Artikel dir etwas Inspiration gebracht, dann freut es mich. Auf jeden Fall wünsche ich dir – und damit auch in der Folge uns? – gute Geschichten!
Als professionelle Autorin kann ich das natürlich zum größten Teil unterstreichen :), aber man sieht eben auch, wie unterschiedlich Herangehensweisen sind. Wenn man mit einem historischen Hintergrund arbeitet, ist selbstverständlich Recherche erforderlich, aber wenn man Bücher schreibt, die im Hier und Jetzt spielen, oft nicht so. Das eigene Vorwissen reicht da oft aus. So schreibe ich meistens.
Ich habe auch schon mal einen historischen Roman geschrieben, aber die Recherchearbeit hat mich fast in den Wahnsinn getrieben. Das ist wirklich nicht mein Ding. Ich lerne gern etwas dazu, auch hat mich Geschichte schon seit Schulzeiten interessiert und ich weiß auch eine ganze Menge auf dem Gebiet, aber das mit einem fiktionalen Text zu kombinieren, mit einer Liebesgeschichte, das macht mir keinen so großen Spaß. In Teilen schon, aber es zu einem Konzept zu machen, wie Sylvia Lott es tut, das wäre wohl nicht meine Idee von kreativem Schreiben.
Für eine Journalistin ist das sicherlich anders, da sind Gefühle nicht so wichtig, es zählen eher die Fakten. Deshalb sicherlich auch diese Vorgehensweise, die sich in Jahren nichtfiktionaler Texte so entwickelt hat und die dieser Autorin sicherlich auch liegt. Und viele Leserinnen mögen diese Art Geschichten. Historische Romane sind ein Riesenmarkt, da kann es gar nicht genug geben.
Wo ich Sylvia Lott absolut zustimmen kann (und ich glaube, da sind sich alle professionellen AutorInnen einig), ist, dass in erster Linie aufs Handwerk ankommt. Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit dem Handwerk und empfehle das auch immer allen Leuten, die schreiben wollen. Die meisten wollen es allerdings nicht hören. ;) Wenn man nur für sich selbst oder für die Schublade schreibt, wenn man nach vielen Jahren immer noch am ersten Buch sitzt und es nie fertigbekommt, dann ist das Handwerk ja auch nicht wichtig. Dann möchte man etwas ganz anderes vom Schreiben haben, als das Handwerk zu beherrschen.
Wenn man veröffentlichen will, wenn man erfolgreich sein will, wenn man vom Schreiben leben will, sollte man das Handwerk aber an oberste Stelle setzen. Und die Erwartungen der LeserInnen. Handwerk allein bringt es auch nicht, wenn es niemand lesen will, weil es nicht den Nerv der Leserschaft trifft.