Für eine spannende Geschichte sind das elementare Voraussetzungen. Nun haben wir die Chance zu einer eigenen Heldenreise – wie hilfreich!
Naturgemäß neigt man dazu, Schmerz zu vermeiden, körperlichen wie physischen. Jeder Konflikt entsteht sogar aus diesem Bedürfnis heraus. Als Romanschreiber weiß man darum vielleicht nicht so viel wie Psychologen, aber doch wohl mehr als Menschen, die sich mit dieser Thematik nicht explizit beschäftigen. Überall können wir lesen, dass Konflikte wichtig sind für Geschichten. Bei den inneren Heldenreisen sind das logischerweise auch innere Konflikte. Der Held ist also im Clinch mit sich selbst.
Momentan – Corona-Crash, März 2020 – haben wir die Möglichkeit das, wofür wir sonst viel Geld ausgeben müssen, live zu erleben. Wir brauchen für unsere Recherche nicht nach Feuerland zu jetten, sondern können den Phoenix direkt zu Hause machen.
Und diese Möglichkeit sollten wir nutzen!
Ich meine damit nicht, alles über das Virending akribisch zu notieren, um demnächst eine möglichst authentische Dystopie zu schreiben; denn ich glaube nicht, dass darauf die Menschen in der nächsten Zeit großen Bock haben. Nein. Ich meine es hinsichtlich der persönlichen Erfahrung mit Ängsten, Problemen, Katharsis und dem schlussendlich gereinigten Auferstehen aus dem Feuer.
Nehmen wir doch die aktuelle Situation als Chance, Einmaliges erleben und damit erreichen zu können. Ja, natürlich gibt es Leid. In unserer Gesellschaft haben wir aber leider eine sehr kontraproduktive Einstellung zu jeder Variante davon. Dementsprechend chancenvernichtend ist auch die allgemeine Reaktion: Wegmachen. So schnell wie möglich, Hauptsache, es ist weg. Als Getriebene sind wir bereit, Medikamente mit Horror-Nebenwirkungen einzunehmen, nur dass das Leid verschwindet. Manchmal kann das schon auch zielführend sein. Unglücklicherweise ist dadurch aber eine Vermeidungsgesellschaft entstanden, die gar nicht einmal auf die Idee kommt, in Unangenehmem Ressourcen zu vermuten, geschweige denn sie nutzen. Ein wenig erinnert mich die heutige Gesellschaft an die Eloi aus H. G. Wells’ Zeitmaschine: sie leben sorglos an der Oberfläche der Erde, während die Morlocks im Untergrund die Drähte ziehen. Zu belächelnde Fantasy? Ich finde nicht, die Parallelen sind verblüffend, nur dass die Morlocks anstatt unter der Erde zu leben, Inselchen im Pazifik bevorzugen. Aber darum geht es jetzt nicht.
Was wir derzeit nützen können, ist das bewusste Wahrnehmen von Leidensdruck in uns und um uns herum. Am besten beginnt man dabei bei sich. Wie fühlen sich die Ängste, krank zu werden, wirtschaftlich in Mitleidenschaft gezogen zu werden an? Was machen sie mit unseren Emotionen, wie fühlen sich diese an, wie reagiert der Körper darauf? Was macht die zwangsweise Nähe mit unseren nächsten Menschen mit uns? Das, was da innen drin geschieht, finde ich, lohnt sich, genau notiert, Tagebuch darüber gefüht zu werden. Aber nicht nur, wie es sich anfühlt, sondern wie man damit umgeht. Wie einem Lösungen zufallen. Wie einem Hilfen wird, wie und woher. Was verändert sich durch die aktuelle Situation in einem psychisch, was machen sie mit dem Denken und den eigenen Werten? Sind Aufforderungen dabei, umzudenken? Enstehen neue Chancen und Möglichkeiten?
Mal ganz nüchtern betrachtet: Das alles ist unglaublich wertvolles Material für authentische Geschichten. Erkenntnisse an uns selbst gemacht, die wir an unsere Protagonisten vererben können, um so in der Zukunft nicht nur spannendere Geschichten schreiben zu können, sondern vielleicht auch welche, die anderen Menschen in ihren Situationen helfen.
Man kann nur authentisch über ewas schreiben, das man selbs kennt. Dieses Kennenlernen geht aber nicht, indem man zurückzuckt und quietscht: »Wasch mich, aber mach mich nicht nass!«
Also nutze die aktuelle Situation auch dafür, mit scharfem Blick zu beobachten, was in dir vor sich geht und auch was um dich herum geschieht.
Und noch etwas: Seien wir uns mal ehrlich – ist die Welt so, wie sie war und noch ist, wirklich so toll? Ist es nicht traurig, dass erst durch so eine Krise sich Fische wieder nach Venedig trauen? Dass Vögel mit verklebten Flügeln in Ölteppichen sterben? Dass Menschen mit Mundschutz durch Smog zur Arbeit gehen müssen? Dass es immer weniger stille Plätze in der Natur gibt? Das uns keine Zeit bleibt, uns mit unseren Nächsten und uns selbst zu beschäftigen? Die Liste des Traurigen, das wir leider mittlerweile gewohnt sind, lässt sich beliebig fortsetzen. Ist es also nicht an der Zeit, dass sich etwas verändert?
Änderung ist aber immer zugleich Abschied. Um Gewohntes hinter sich zu lassen, bezahlt man immer auch mit Schmerz. Ohne geht es nun mal nicht.
Gute Gründe dafür, anstatt über die Zustände zu stöhnen, sich ihnen mit Interesse und Neugier zuzuwenden.
In diesem Sinne wünsche ich euch allen viele erleuchtende Erlebnisse für eure kommenden Geschichten!
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