Figuren – wichtiger als der Plot?

Jedem ist klar, dass ein Roman schwer ohne Figuren auskommt. Aber gesprochen wird immer nur vom Plot. Ob das zurecht so ist, wollen wir uns näher ansehen.

Monument von Ostap Bender (pixabay)

Auf die Idee zu diesem Artikel kam ich durch eine Diskussion im Patchwork-Forum zum Thema ›Figurenblatt‹. Ich erwähne das deshalb, weil ich denke, dass auch andere Autoren so denken wie ein Forenkollege, der sich ein anderes Figurenblatt wünschte – eines, das er sich projektbezogen herrichten kann. Ist das sinnvoll?

Dazu möchte ich ein wenig ausholen was die Möglichkeiten zu den Figuren anbelangt. Oder besser: die Notwendigkeiten aus (meiner) Autorensicht.

In allen Romanen gibt es ein paar Gruppen von Figuren, die man als ›Rollen‹ bezeichnet:

  • Der Protagonist ist die Hauptfigur, um die es geht. Meistens gibt es davon eine Figur.
  • Der Antagonist ist der Gegenspieler. Auch hier haben wir meistens eine vordergründige Figur. Bei einem inneren Plot (Entwicklung) kann der Antagonist durchaus der Protagonist selbst sein.
  • Beim Sidekick handelt es sich um den Gehilfen des Protagonisten. Dabei handelt es sich um eine spannende Rolle, denn sie kann indirekt sehr viel über den Protagonisten erzählen. Einer der berühmtesten Sidekicks ist Dr. Watson bei Sherlock Holmes.
  • Bei vielen Romanen spielt ein Mentor eine Rolle, eine Figur, die dem Protagonisten sowohl aktiv, aber auch mit weisem Rat zur Seite steht.
  • Mit den Hauptfiguren geht es in die Breite, denn davon kann es mehrere geben. Das können Geschwister, Eltern, Kinder, Arbeits- oder Reisekollegen sein, auf jeden Fall Figuren, die in vielen Kapiteln immer wieder auftauchen.
  • Wichtige Figuren treten nicht so häufig auf den Plan – vielleicht sogar nur einmal, um etwas Entscheidendes zu tun – dafür sind aber sie wichig für die Geschichte.
  • Nebenfiguren sind etwa Verkäufer, Polizisten, Taxifahrer oder selten auftretende Freunde oder Verwandte.
    In Patchwork kann man übrigens Figuren aller Rollen als Randfigur bei einer Szene kennzeichnen, wenn sie zwar erwähnt wird, aber nicht selbst in Erscheinung tritt.
  • Statisten schließlich sind das Schlusslicht an Wichtigkeit, sie dienen sozusagen als füllendes Hintergrundraucschen.

Einer der Textreiter

Von der Datenerfassung gibt es zu Figuren neben Kurznamen, vollem Namen, Alternativnamen und einer Kürzestbeschreibung (›Bruder‹, ›Chef‹ usw.) fünf Reiter, von denen der letzte bis zu sieben Bilder beinhalten kann. Die anderen vier mit den Themen ›Beschreibung‹, ›Lebenslauf‹, ›Entwicklung‹ und ›Notizen‹ können beliebig viel Text enthalten und frei gestaltet werden, indem man für jeden dieser Bereiche eigene Vorlagen erstellen kann. Die können etwa so beginnen, wie man rechts sieht. Gegenüber starren Feldern hat dieser Textbereich den großen Vorteil, dass man pro Figur alles entfernen kann, was man zu ihr nicht braucht, aber auch Spezialiäten ergänzen kann. So wird beim Protagonisten mehr stehen als bei einem Statisten. Zudem hat man diese Informationen optinal immer neben dem Text im Blick, wenn man zu der Figur schreibt.

Während es sich bei diesen Informationen um die Eckdaten der Figuren handelt, wollen, beziehungsweise müssen, wir zu den ersten vier Rollen (Protagonist bis Mentor) viel mehr Daten sammeln, als bei dem Taxifahrer, bei dem vielleicht nur eine Rolle spielt, dass er eine Kipa trägt. Doch selbst beim Protagonisten handelt es sich bei diesen vier Textreitern nur um eben Eckdaten. So, und nun kommt für ausfürlichere Informationen das Figurenblatt ins Spiel.

Das enthält rund 300 Fragen, die man wie einen Fragebogen ausfüllen kann. Es geht dabei um die Hauptgebiete wieder ›Eckdaten‹, dann ›Äußere Erscheinung‹, ›Persönlichkeit‹, ›Figur und ihr Umfeld‹ und ›Vergangenheit und Linie‹. Darin erfährt man viele Details, etwa welches Verhältnis die Figur zur Natur und anderen Menschen hat, welche besondern Fähigkeiten sie hat, was anderen an ihr am meisten/wenigsten gefällt … nun eben rund 300 Fragen. Die allererste ist der Verhaltenstyp. Hier ist das DISG-Persönlichkeitsprofil integriert, das Charaktere in 15 Gruppen, vom Macher oder Pionier bis zum Denker oder Perfektionisten vorschlägt, während bei jedem dieser Typen eine etwas genauere Beschreibung die Figur charakterisieren hilft. Dieser Verhaltenstyp ist sehr wichtig und völlig unabhängig vom Genre. Man sollte sich gleich zu Beginn für einen Typ entscheiden. Warum, darauf komme ich gleich.

Das Kennenlern-Interview, für das das Figurenblatt gedacht ist, erfolgt nicht so, wie ein normales Interview! Lernen wir jemanden kennen, dann fragen wir uns im Lauf der Stunden bis Wochen langsam durch und es entsteht die Figur mit ihren Facetten vor uns. Nicht so beim Roman! Denn …

Ausschnitt Figurenblatt

Nun komme ich zurück auf die Notwendigkeit des Typs. Ich führe dazu ein weiteres Werkzeug von Patchwork ein, das enorm wichtig ist, wenn man eine Geschichte planen möchte – was nicht unbedingt einen Plot bedeuten muss. Es geht um den Storybuilding-Assistenten. Der hilft einem in 5 Stufen bei der Verfestigung der Idee zur Geschichte. Das ist nämlich etwas, das gern vergessen wird, wodurch man auf einmal ins Eiern kommt und nicht weiß weshalb. Hier haben wir es mit fünf Stufen zu tun, die uns in die Geschichte hineinführen (ich reiße sie nur kurz an):

  1. Die Mission – Wovon willst du die Welt überzeugen?
  2. Das Problem – Die Schere zwichen alter und neuer Welt samt den Problemen auf dem Weg dorthin
  3. Das Casting – Welche Figuren brauchen wir zur Umsetzung?
  4. Die Wendepunkte – Die klassischen fünf wichtigen Punkte jeder Geschichte
  5. Der Plot selbst (wenn man möchte)

Bei diesem Artikel hier geht es um 1 (Mission) und 3 (Casting). Die Mission ist natürlich das Wichtigste. Doch gleich danach kommen die Zutaten, die sie ermöglichen: Protagonist, Antagonist, eventuell Sidekick, eventuell Mentor.

Um unsere Mission erfolgreich zu erfüllen, brauchen wir demnach maßgeschneiderte Figuren. Dabei spielt das Setting noch keine wichtige Rolle. Klar, es wird ein Fantasy-Roman oder ein Thriller, aber das ändert nichts daran, dass der Charakter die Fähigkeit haben muss, die Mission zu schultern. Es wäre zum Beispiel ein ›Denker oder Perfektionist‹ bei einem James-Bond-Roman fehl am Platz. Mit dem Persönlichkeitstyp setzen wir unserem Protagonisten sozusagen Grenzen, in denen er sich bewegen darf. Und so läuft nun auch das ›Interview‹, bei dem wir uns die Figur maßschneidern. Es stellt sich nicht die Frage: ›Hey, lass mal sehen, wer bist du denn?‹, sondern: ›Okay, dann zeig mal, ob du für diese Rolle geschaffen bist!‹

Auf diese Art erhalten wir nun die passenden Eigenschaften, die wir eintragen. Die wichtigsten kann man per Doppelklick in den entsprechenden Reiter schnippen. Hat man sich aber bereits die Vorlagen anhand der Optionen des Figurenblatts zusammengeklickt (auch das geht, und zwar schnell und elegant), dann wird die Antwort zur Frage (siehe Screenshot Figurenblatt hier oben rechts), sofern sie in einem der Reiter aufscheint, automatisch dort eingetragen.

Natürlich kann man das auch mit Zetteln machen oder sich die Daten sonstwie speichern, darum geht es hier nicht. Der Artikel sollte vielmehr aufzeigen, dass die Reihenfolge bei der Mission beginnt, nach der gleich einmal die Figuren kommen und erst an letzter Stelle der Plot, wenn man ihn machen möchte.

Vielleicht hast du ja Lust, das bei deiner nächsten Geschichte auszuprobieren …?

 

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Benutzer, die diesen Beitrag geliked haben

  • Pam

Ein Kommentar zu “Figuren – wichtiger als der Plot?

  1. PamPam

    Hallo Martin,

    vielen Dank für die ausführliche Erklärung zum Figurenblatt, das ich als Casting betrachte. Dabei behandle ich die Figuren entweder als Schauspieler/innen, die ich daraufhin abklopfe, ob sie der geplanten Rolle gerecht werden oder ich spreche den Figuren jene Charaktereigenschaften zu, die ich für die jeweilige Rolle als notwendig erachte.

    Vor allen Dingen entfällt mit PW die Zettelwirtschaft. Ich benötige keine externen Tabellen mit Figurendaten, da wirklich alles Relevante in Patchwork integriert ist und darüber hinaus …

    Viele Grüße
    Pam

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    • martin

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