Nun doch einmal zu Perspektiven

Auch bei mir hat das mit den Perspektiven seinerzeit gedauert, bis ich sie wirklich begriffen hatte. Was sind die Knackpunkte?Ich möchte hier nur einen ganz kurzen Abriss zum Thema geben, es gibt nämlich jede Menge an Büchern zum Thema und auch Internetseiten, wie zum Beispiel Wortwuchs.net, wo man nachlesen kann, sollten einen Details interessieren.

Was bedeuten die vier Perspektiven?

Bei der personalen Perspektive – der häufigsten in Romanen – wird aus einer handelnden Figur heraus in der Er-Sie-Es-Form erzählt (Claire sagte: »Bitte nicht schon wieder« und seufzte. Warum hatte er es immer noch nicht kapiert? Seine Ignoranz bereitete ihr Übelkeit und wie immer stieg gleich darauf Zorn in ihr hoch). Man kann sich das am besten so vorstellen, dass man aus den fünf Sinnen der Figur heraus erzählt. Dabei sollte man sich so in die Figur hineinversetzen, dass der Leser auch einen individuellen Duktus herauslesen kann, also wie sich diese Figur spezifisch ausdrückt. Man kann dabei nur über das erzählen, was diese Figur auch tatsächlich wahrnimmt.

Die Ich-Perspektive ist das Gleiche, nur dass man in der Ich-Form schreibt.

Die auktoriale Perspektive wird auch die Liebe-Gott- oder allwissende Perspektive genannt, weil bei ihr der Erzähler alles von allen weiß, und das auch eventuell innerhalb eines Satzes ausdrückt (Claire sagte: »Bitte nicht schon wieder« und seufzte. Marcel spürte, wie sein Blut ins Kochen geriet, aber er wollte sich partout nichts anmerken lassen. Ha! Zwar hatte sie ihn schon wieder gereizt, aber wenigstens hatte er offenbar wieder einmal ins Schwarze getroffen!)

Die neutrale Perspektive wird in der Belletristik üblicherweise nicht verwendet, sondern zum Beispiel bei Artikeln. Man könnte sich auch als die rein sachliche Perspektive bezeichnen (Claire drückte ihr Missfallen aus, worauf Marcels Stirnader kurz anschwoll und er den Raum verließ) – also reine Fakten.

Was ist das Schwierige bei der personalen und der Ich-Perspektive?

Der häufigste, nicht nur Anfängerfehler, besteht in dem Einfließenlassen von Wahrnehmungen anderer Figuren. Dann meinen Autoren oft, sie hätten die auktoriale Perspektive gewählt. Als Grund dafür wird gerne angegeben, der Leser solle möglichst gut Bescheid wissen, das würde die Geschichte erst richtig plastisch machen. Das ist aber ein Missverständnis, weil dabei etwas außer Acht gelassen wird: Die Aufgabe eines Artikels ist bestmögliche, vielseitige Information, aber nicht die einer Geschichte wie wir sie in Romanen erzählen. Warum es auch noch keine gute Idee ist, unten bei den Vor- und Nachteilen.

Bei diesen beiden perspektiven sollte Augenmerk Nummer eins darauf liegen, den Leser zu fesseln! Dafür muss sich der Leser mit den Protagonisten identifizieren können, sei es mitzittern, mitschmachten oder mitfreuen. Das braucht, neben anderen Kriterien, immer etwas Zeit, er muss mit der Figur warm werden, langsam in sie hineinschlüpfen (Identifikation). Aus diesem Grund tut man sich übrigens mit dem Großteil der Leserschaft auch leichter, wenn man sympathische Protagonisten wählt – denn wer identifiziert sich gerne mit einem Serienmörder. Figuren sollen aber nicht perfekt sein (denn: ›so werde ich nie sein können‹ oder ›so was gibts doch gar nicht‹), sondern menschlich, also mit Fehlern, die, wiederum, der Leser selbst gut kennt. So wird sich nicht jeder Leser mit jedem Protagonisten, dessen Begleitern oder seinem Mentor identifizieren können. Das ist nun mal so. Wichtig: Sei authentisch und schreib von dem, was du fühlst.

Durch die Perspektive können wir daher viel bewirken, indem wir auf eine gefühlsmäßig gleiche Wellenlänge mit dem Leser gehen. Und nun kommt das Problem mit dem Mischen (aber überhaupt auch Wechsel) von Perspektiven. Dir ist es gelungen, dass es sich der Leser ›in‹ deiner Figur behaglich gemacht hat, er mag sie – ein toller Erfolg! Nun schleuderst du ihn aber gleich wieder aus seiner Behausung hinaus, indem du ihn in eine andere Figur zwingst. Das geht in größeren Rhythmen – idealerweise von Kapiteln – gut, hat sogar (eventuell) den Vorteil einer Wellenbewegung in der Geschichte. Abgesehen davon, dass sich nicht viele gern aus einer gemütlichen Umgebung hinausbegeben, erfordert ein Wechsel vom Leser viel größere Flexibilität und Aufmerksamkeit, schnelles Umdenken. Das ist wiederum etwas, das dem unterschwelligen Wunsch der meisten Menschen, und somit auch Leser, nach Harmonie – wer will keinen harmonisch-knuddeligen Partner? – zuwiderläuft. Der Leser verliert den Kontakt zur Geschichte, je häufiger diese Wechsel stattfinden, desto mehr wird er gebeutelt – und genau das sollte man vermeiden. Übrigens auch bei einem Thriller. Dort geht es nämlich ebenfalls um Emotionen, nur eben andere.

Was sind die Vor- und Nachteile der verschiedenen Perspektiven?

Der größte Vorteil von personaler und Ich-Perspektive ist die Nähe zu Figuren, wie man dem vorigen Absatz ja entnehmen kann. Der Leser kann es sich in eine Figur bequem machen und mit ihr auf Reisen gehen. Dabei ist die Ich-Perspektive noch um einiges näher am Leser als die personale. Schließlich ist ›ich‹ ich und nicht er oder sie. Aber es gibt auch manche Menschen, denen das zu nahe ist, sowohl Autoren als auch Lesern. Nicht alle Menschen sind bereit, sich auf andere wirklich einzulassen. Allerdings beobachte ich, dass die Ich-Perspektive an Land zu gewinnen scheint.

Die auktoriale Perspektive hat den Vorteil, dass man gleichzeitig alles sehen und auch preisgeben kann. Das mag für analytische Geschichten hilfreich sein, aber Nähe zu den Protagonisten gewinnt man damit nicht.

Die Frage ist also letztendlich: Wie viel Nähe soll dein Leser zu deinen Figuren haben? Soll er sie nur aus der Ferne als ›interessante Wesen‹ betrachten und dir über die Schulter blicken, wie du sie sezierst, oder soll er sich mit ihnen identifizieren, sich von ihnen packen lassen? Da es bei den meisten Geschichten um Gefühle geht, gleichermaßen bei romantischen und historischen Romanen, Krimis, Grusel und Fantasy und all den anderen Genres, rate ich von der auktorialen Perspektive ab. Geht es hingegen um ein zum Beispiel psychologisch interessantes Werk, bei dem Gefühle uninteressant sind, dafür aber die Analyse der Handlungen, dann kann die auktoriale Perspektive ein Weg sein.

Zum Schluss noch zusätzlich

Speziell noch nicht so geübte Autoren sind gerne der Meinung, sie müssten möglichst viel von ihren Figuren preisgeben, also warum Jasmin traumatisiert ist, woher George seinen Tick hat und wieso Benjamin so gut darin ist, Toaster zu reparieren. Das hängt alles mit der Vergangenheit der Figuren zusammen. Aber:

  1. Unsere Geschichten sind immer nur Scheinwerfer auf ganz bestimmte Teile des Lebens unserer Protagonisten.
  2. Es geht um die dort auftretenden Gefühle und keinen Menschen interessiert es, warum Manuela schwermütig ist. Wenn es sich ergibt, kann man es in einem Nebensatz erwähnen, sollte sich aber nicht dazu hinreißen lassen, die ›Voraussetzungen‹ in Form von langen Erklärungen oder gar eines Prologs darzulegen.

In diesem Sinn wünsche ich dir viel Freude bei der genau für deine Geschichte passenden Perspektive!

 

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