Bauch versus Kopf – unübliche Gedanken

Unsere Gesellschaft ist schon länger gespalten als erst seit 2020 :-) Und zwar in Anhänger der Bauchschreiber und Plotter. Dazu kam mir neulich ein Gedanke, der vielleicht den einen oder die andere entspannt.

Natürlich gibt es auch viele Versöhnliche, die nicht behaupten, eine der beiden Varianten wäre die bessere, sondern die andere Liga als genauso richtig tolerieren. Trotzdem neigen die meisten zu einer der beiden Seiten. Neulich habe ich mich gefragt, ob das nicht in Wirklichkeit vom jeweiligen Buchvorhaben abhängt. Und ich kam zu dem Schluss: Jawohl, es hängt.

Wie kam ich zu dem Gedanken? In meiner Schreibvergangenheit habe ich mit ausschließlich dem Bauch angefangen, meine ersten Romane zu schreiben. Ganz zu Beginn wusste ich es nicht besser, später, als ich vom Plotten erfuhr, fühlte ich mich eingeengt und ließ es deshalb bleiben. Erst die zwei, drei letzten Romane plottete ich tatsächlich – doch auch die nur vage. Vor ein paar Tagen inspirierte mich eine Diskussion zu einem neuen Buch. In mir entstand ein nebelhaftes Gesamtbild, die Prämisse war klar und auch ein Kurzexposé stand eine Stunde später. Die ganze Geschichte inklusive Titel, Protagonistennamen und ein paar Ingredienzien war mir also klar. Und da wurde mir bewusst: Diese Geschichte muss ich unbedingt plotten! Und: Ich freute mich darauf – ganz im Gegensatz zu früher.

Was war jetzt anders?

Diesmal war für mich der gesamte Storybuildingprozess optimal: Mit der Frage beginnen, was ich der Welt mitteilen möchte. Mir über die Vision, die Mission, klar werden. Die Zutaten überdenken, vom Titel über den Namen des Protagonisten bis hin zur Szenerie, in der die Geschichte spielen soll. Dann Plot. Und dann Mikroplot. Ich möchte sagen: Eine schemenhafte Energie der Idee nahm auf diesem Weg immer konkretere Form an.

Früher war das anders. Da ging es zum Beispiel um das sich Finden zweier Menschen. Natürlich auch grob ein Ziel im Hinterkopf, aber damals kam es mir auf das Abenteuer an, die Geschichte Schritt für Schritt schreibend zu erleben; nach dem Motto: Was geschieht wohl als Nächstes? Das Entdecken, was hinter der nächsten Ecke geschehen mag. Das typische Bauchschreiben eben.

Zwar hat man in beiden Fällen eine Mission. Hier will man zwei Menschen zusammenfinden lassen, dort aber geht es um einen essenziellen Kern, dessen Geschichte herausmodelliert werden will. Vielleicht kann man die beiden Vorgehensweisen vergleichen mit dem Unterschied zwischen Bildhauerei und Malerei. War es da Vinci, der einmal meinte, er würde den Stein so lange bearbeiten, bis alles, was nicht Löwe wäre, entfernt ist? Auch bei einem Gemälde hat man seinen inneren Fahrplan, wohin es gehen soll. Aber es ist etwas grundlegend anderes, das antreibt.

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, den nicht so offensichtlichen Unterschied herauszuschälen – auch wenn man es trotzdem besser fühlen, als mit dem Hirn festmachen kann.

 


Benutzer, die diesen Beitrag geliked haben

  • tatwort

Ein paar Kommentare zu “Bauch versus Kopf – unübliche Gedanken

  1. tatworttatwort

    Oh, ein interessantes Thema. Ich melde mich hier mal als bekennender Bauchschreiber. Ich muss zugeben, es kann frustrierend sein, wenn man zu Beginn und mitunter fast bis zum ENDE des Buches nicht weiß, wie genau das Ende ausgehen wird. Doch so pauschal kann man das nicht sehen.

    Ich habe wahrlich oft versucht, meine Geschichte zu plotten, um einen Fahrplan zu haben, dem ich folgen kann. Patchwork gibt einem ja sehr stabile Fußstapfen vor, denen man sogar leicht folgen kann. Evtl. liegt es auch an den Details, die einem Bauchschreiber nicht so locker über die Tastatur gehen. Beispiel:

    Eine Geschichte handelt von drei primären Hauptfiguren, von denen gleich zu Anfang klar ist, dass einer der drei Akteure am ENDE sterben wird. Selbst wenn klar ist, wo und wie der Tod daherkommen mag, sind die Fülle an Details der bis dahin erlebten Gefühlen der beteiligten Akteure und der erlebten Umstände, die zu der Situation geführt haben, doch fast unendlich. Und es sind keine Feinheiten, die man beliebig variieren kann. Als Bauchschreiber lässt man das ENDE auf sich zukommen, die Details werden beim Schreiben ins Leben gerufen. Das macht es für mich selbst spannend, da auch ich als Autor nicht weiß, wie genau die Geschichte ausgehen wird.

    Würde ich die Geschichte plotten wollen, müsste ich mich frühzeitig binden, mich irgendwie festlegen – jedenfalls fühle ich mich dabei so. Es würde für mich bedeuten, dass ich mir das ENDE eines Films ansehe, ehe ich den Startknopf drücke. Ich weiß, die Welten der Bauchschreiber und Plotter verlaufen in unterschiedlichen Sphären und man ist in seiner Dimension gefangen und bleibt es – zumindest bei mir – auch.

    Die Frage wäre, merkt man es der Geschichte an, ob sie geplottet wurde oder ob sie vom Bauchgefühl getrieben wurde. Würde sich hier ein klares Urteil zum Nachteil des Bauchschreibers herauskristallisieren, würde ich mich möglicherweise genötigt sehen, mich tiefer in die Welt des Plottens einzuarbeiten. Bis dahin verbleibe ich bei dem, was bei mir intuitiv klappt.

    Gruß Rudolf

  2. martinmartin Autor des Beitrags

    Hallo Rudolf,

    doch, ich finde, man merkt es, wenn eine Geschichte nicht geplottet ist. Oder besser: wenn sie geplottet ist. Es passt die Spannungskurve besser, die Geschichte ist homogener in sich und man kann durch das Plotten bereits frühzeitig Prozesse einleiten (z.B. überraschende Wendungen, die aber schlüssig sind), die später aktuell werden, was beim Bauchschreiben eine Menge an Nacharbeit bedeuten würde. Und die kann dann auch noch die Geschichte beschädigen, weil es ja nicht mehr im Fluss geschieht, sondern eben Ausbessern ist. Denn beim Bauchschreiben ist man sozusagen wie der Leser, der die Geschichte erstmals erlebt.

    Ich glaube, man muss sich einfach überlegen, was man möchte. Hat man, wie oben beschrieben, eine Mission, dann kommt man wohl ums Plotten nicht herum. Möchte man sich von der Geschichte beim Schreiben selbst überraschen lassen – also schreibender Leser spielen – dann kann man Bauchschreiben. Es sind zwei Welten, würde ich sagen. Die eine ist die des Genussschreibers, der sich, frei Pi mal Bauch, auf den Weg macht, ein Abenteuer zu erleben und das nebenher auch noch aufschreibt. In der anderen Welt ist das Ziel des professioneller Autors der Leser. Und dafür ist meines Erachtens Vorausschau und schon genau zu wissen, wo es lang geht, notwendig. Das wiederum ist Plotten. Bauchschreiben ist wie ›Ich reise mal nach Bhutan, um zu schauen, wie das mit dem Bruttosozialglück wirklich ist.‹ Plotten wäre: ›Bruttosozialglück ist ein faszinierender Aspekt für eine Regierung. Ich möchte darüber einen Roman schreiben, der meinen Lesern das Thema nahebringt.‹

    Unterm strich ist aber nicht nur beim Schreiben der wichtigste Aspekt: Bereitet mir das, was ich tue, auch wirklich Freude? Aber auch das ist nicht so leicht zu beantworten. Man kann es nämlich erst beurteilen, wenn man es kennt.

    Viele Grüße
    Martin

  3. tatworttatwort

    Bereitet mir das, was ich tue, auch wirklich Freude?

    Das ist ein wichtiger Aspekt. Man sitzt ja tage-, wochen- und monatelang vor dem Monitor, bis die Geschichte fertig ist. Wenn es keine Freude bereitet, kann man besser Netflix schauen.

    Auch als Bauchschreiber habe ich natürlich eine grobe Gliederung und einen Ablauf der Geschehnisse mit Wendepunkten im Kopf. Es gibt sie ja, die Geschichte im Kopf, die erzählt werden will. Das kann ich (und werde es demnächst tunlichst so handhaben) auch ganz zu Anfang grob durch das Anlegen von Kapiteln bereits festzurren.

    Evtl. reicht das sogar für eine grobe Plottanlage.

    Gruß Rudolf

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